Mittwoch, 30. Oktober 2013

ÜBER "IV:REVOLUTION" #6


ÜBER "IV:REVOLUTION" #6

Und noch ein Gastblog zu unserem neuen Album. Heute von unserem hochtalentierten Langzeit-Homie Daniel Monninger aus Marburg, der schon vor einigen Jahren ganz wunderbare und genreunüblich-lyrische Rezis zu meinen Soloalben "Himmelherz" und "Reisefieber" bei Sound7.de veröffentlicht hat und sich seitdem - zurecht und mit Freude zitiert - in sämtlichen Promo- und Pressetextmäppchen von uns tummelt. :-) 

Foto: Paintpictures Bilderwelten

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Daniel Monninger, dessen Alter hier nichts zur Sache tut, vertreibt sich an der Uni Marburg als Zeithistoriker die Zeit und verdingt sich nebenbei als Texter, Lektor und Schreibcoach (www.diphthong-textproduktion.de)

Die Trinität der Revolution

Ein bisschen wundern muss man sich ja schon. Da schreibt ein Mann mittleren Alters – nennen wir ihn der Einfachheit halber Jens – Lieder über das Leben und über die Liebe und über alles, was ihm sonst noch so vor die Gitarre läuft (andererseits, naja, was wäre da nicht schon von Leben und Liebe abgedeckt?). Er schreibt also und schreibt und heraus kommt dabei zunächst recht rumpeliges Zeug, das einer Hamburger Undergroundkapelle – nennen wir sie der Einfachheit halber „Böttcher“ – ganz gut zu Gesicht steht und dem man die revolutionäre „Wir gegen die“-Pose durchaus abnehmen würde. 

Nach einem kleinen Zwischenfall in einer Hotelbadewanne ist „Böttcher“ Geschichte und
unser Barde heißt zwar immer noch so und schreibt auch immer noch so, singt aber plötzlich von göttlicher Erlösung. Das ist für den gemeinen Revoluzzer dann doch gar starker Tobak, zumal sich die frommen Zeilen zunächst in countryesken Gospel kleiden („Rosenbrock & Böttcher“) und dann, inzwischen solo, in immer runder werdendes Gitarrengeklimper. Da ist doch einer weich geworden! Und, auch wenn sich über das erlöste Lächeln schon immer ein paar Sorgenfalten gelegt hatten: Das sanfte Wegwischen von Tränen mit dieser ewigen Alles-wird-gut-Attitüde konnte doch unmöglich das Ende der produktiven Fahnenstange gewesen sein.

Und dann das! Unser Protagonist schreibt noch immer fleißig vor sich hin, doch der Mann mittleren Alters mutiert plötzlich zum Revolutionär. Naja, zunächst mal nur zum selbsternannten. Worin besteht also diese Revolution, die das vierte Solo-Album in Gestalt eines hintersinnigen Wortspiels proklamiert? Sie ist, das wäre dann auch zu viel des Guten, kein Ruf zu den Waffen, kein Aufruf auf die Barrikaden. Denn sie ist mehr, viel mehr des Guten. Sie ist ein Aufruf gegen die Barrikaden, ein flammendes Plädoyer gegen eine Ghettoisierung des Herzens, das sich, eingepfercht in ein Gehege aus Selbstsucht und Moralität, doch schon immer nach Freiheit gesehnt hat.

Innerhalb des Böttcherschen Kosmos ist das keine Revolution, vielmehr die konsequente Fortführung einer Lebensreise, die aus dem Suchenden erst einen Christen gemacht hat und dann einen suchenden Christen. Das hat eine fast pantheistische Weite zur Folge, die manch passioniertem Barrikadenbastler sicherlich sauer aufstoßen wird, wenngleich aus dem weißen Feuer zwischen den Zeilen von „IV: Revolution“ an allen Ecken und Enden Jesus quillt. Wie anders wäre es auch möglich, „nur noch nach oben abzustürzen“, wie eines der Lieder nahelegt?

Überhaupt ist das Revolutionäre an dieser Revolution nicht ihr Eifer für eine gerechte Sache, sondern ihr Eifer für eine gerechte Person, nicht der Umsturz der äußeren Verhältnisse, sondern der Umsturz der inneren, vielleicht nicht einmal aktives Umstürzen per se, sondern aktives Verändern lassen. Kurz: Das Revolutionäre besteht in einer Umdeutung des Revolutionsbegriffs, die jedoch nicht beliebig ist, sondern konsequent. Schärfer war der Ausdruck nie und auch selten näher an seiner ursprünglichen Bestimmung. Drei Übersetzungsvarianten legt ein handelsübliches Lexikon für die lateinische revolutio nahe, der unser moderner Revolutionsbegriff entwuchs. Sie bezeichnet zunächst die Umdrehung von Körpern um ein Zentrum, meint alsdann eine Rückkehr. Und schließlich: „Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab.“…

Wenn nun ein Mann mittleren Alters namens Jens von einer Revolution schreibt, die wie selbstverständlich diese Trinität in sich vereint; wenn er diese Revolution vertont mit Arrangements, die in ihrer dichten Vielschichtigkeit eine kleine Revolution darstellen, mit einer Band, die auf der bisherigen Höhe ihres Schaffens ist – ja, dann bleibt nur noch auszurufen: Die „Wir gegen die“-Revolution ist abgesagt. Wir kämpfen jetzt für die Revolution des „Ich bin du“.
Und wundern uns ein bisschen.

-Daniel Monninger- 

Freitag, 18. Oktober 2013

ÜBER IV: REVOLUTION #5


Als Gastbloggerin No.5 schreibt hier die wundervolle und unvergleichliche Songpoetin Sarah Brendel über unser neues Album "IV:Revolution". 
Falls ihr es noch nicht gemacht habt: checkt unbedingt mal Sarahs gesammelte Werke aus, Homies. Die sind allesamt von bezaubernder Schönheit. Thx Sista Sarah für deine Worte. :-)

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Sarah Brendel lebt in einem Künstlerschloss bei Dresden, sie singt und ist mit ganzem Herzen Mutter.

IV: Hoboblues – in Farbe.

Die Ouverture öffnet die Türe in eine Welt,
die anders ist, als ich zunächst gedacht hätte,
ihre Fährte lockt träumerisch
und schon steht man am Rand der Zeit.
Nun sind hier 17 Songs zu hören, die immer noch
von Liebe und Gnade sprechen,
deren Tonfall aber düster und messerscharf
bis in die hinterste Ecke raunzt.
So singt einer, der sich seiner eigenen Mittel
schon immer sehr bewusst war
und nichts zu verlieren hat,
der erzählt, was er beobachtet -
und die Instrumente einsetzt wie sie kommen. 
Die Aufnahmen klingen unangestrengt und selbstreflektiert,
hier gibt jemand nicht vor, größer zu sein als er ist -
das erleichtert das Zuhören, man findet sofort Zugang.
Die alten Stärken von Jens Böttcher
sind auf diesem Album noch künstlerischer,
das hobohafte, freie Spiel ist feiner und facettenreicher geworden.
Es sind die gleichen Gesichter,
die gleichen Strassen.
Derselbe Blues,
nur diesmal nicht in schwarzweiss,
sondern in Farbe.

Sarah Brendel


Montag, 7. Oktober 2013

ÜBER IV: REVOLUTION #4



Foto: Paintpictures Bilderwelten

Heute als Gastblogger zum neuen Album "IV: Revolution" - unser alter Bruder und geliebter Weggefährte Steffen Richter - der vor gut zehn Jahren als A&R eines christlichen Labels maßgeblichen Anteil daran hatte, dass unsere Musik landesweit auf recht schnittige Weise polarisieren durfte. :-) Besonders schön an seinem besonders schönen Text ist übrigens, dass er nicht darauf verzichtet hat, die Lappen zu erwähnen, die einen gewissen Herrn Rosenbrock und mich auch heute noch zum entrückten Lachen bringen.  Und nee, das muss man jetzt nicht verstehen. :-) Danke, Bro. 

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Steffen Richter ist alterstechnisch kurz vor der Umschiffung des Kaps der guten Hoffnung, erhofft für seine beiden wilden Jungs einen Platz im offensiven Mittelfeld der TSG Wieseck, lebt als überzeugter Bürger in einer temperamentvollen Universitätsstadt Hessens, empfindet große Leidenschaft für seinen Beruf, auch wenn Journalistenmenschen nicht den besten Leumund haben, verdient die leckeren Semmeln für die Familie als Kommunikator einer internationalen NGO und wenn Jens Böttcher gerade mal nicht die Gehörgänge umschmeichelt, verehrt Steffen musikanten des Americana, in diesen Tagen besonders gerne David Ramirez, Holly Williams, Jay Nash, the Civil Wars, Steve Earle oder Amos Lee.     


Ein lebendiger Fluss. 

Musik ist ein bisschen wie Fußball. Sie polarisiert. Mitunter sogar stark. Jens Böttcher kann ein Lied davon singen. Tut er aber nicht. Seine Lieder thematisieren nicht Schubladen, und auch nicht deren Inhalt. Jens singt im engeren und weiteren Sinne Liebeslieder. Seine Mission ist Liebe. Man könnte dieser banalen Erkenntnis, oberflächlich betrachtet, einen gewissen Schmuddelcharakter beimessen und in die lebensbejahende Bahnhofsgegend verschieben. Das, liebe Freunde, käme allerdings der Wahrheit nicht sehr nahe und spräche für eine komplette Unkenntnis des musikalischen Schaffens unseres Genius. Mal mit Rosenbrock, mal mit einem Orchester des himmlischen Friedens, mal solo, mal mit Hut, selten ohne, ja, es gibt ihn in vielen Variationen. Egal aber wie er gerade die Öffentlichkeit kreuzt, sein großes, brennendes Herz, seine tiefe Liebe zu den Menschen flankiert alles. Liebe zu den Menschen zu haben, das zeichnet das Gesamtkunstwerk Jens Böttcher aus.

Man könnte glatt meinen, ich umschmeichle einen alten Freund mit einer gewissen Absicht, verpacke das in möglichst freundliche Worte und stütze auf diese Weise seinen neuesten Arbeitsnachweis aus einer vermeintlich neutralen Perspektive. Ähhhh, dem ist so. Keine Frage. Dem ist so, aber jeglicher kritischer Aufschrei ungezügelter Empörung gepimpter Wutbürger verstumme augenblicklich, denn diesem meinem kleinen Kommentar geht eine erneut außergewöhnliche Leistung voraus. Mir bleibt keine Wahl. Ich liebe diesen Kerl und seine Musik. Fürchte, das wird sich nicht ändern. Er singt von meinem Leben. Er berührt mich. Er tröstet mich im richtigen Moment. Schenkt mir Hoffnung. Er lacht mit mir, imaginär und von Angesicht zu Angesicht, manchmal auch im Telefon. Er gibt mir die Chance, mit seiner Musik auch anderen Menschen zur Seite stehen zu können. Das ist passiert. Mehrfach.
Klar. Jens Böttcher bleibt ein Geschichtenerzähler, ein Überzeugungstäter, auch ein Spaßmusiker und auf eine gewisse Art und Weise auch ein chronischer Antizeitgeistler, aber er hatte dennoch schon immer ein Faible für die richtigen Impulse und eine ausgesprochen authentische Empathie für die Vergessenen, die verlorenen Seelen, die Schmerzensmenschen. Er ist auf eine Art und Weise gesegnet, talentiert, beschenkt, dass aus dem knorrigen, zunächst für viele eher sperrigen Barden ein Hoffnungsträger wird. Innerhalb von Minuten. Wie war das noch? „We learned more from a three-minute-record than we ever learned in school.”

Es ist mir eine große Ehre, dass ich diese Zeilen schreiben darf. Auch, weil ich einen ausgeprägten Hang zur Rampensau habe und gerne einen immens wichtigen Teil zum Umfeld der neuen Platte beitragen will. Es ist mir eine große Ehre trotz der absoluten Freiheit, inhaltliche Vorgaben zu vergessen und Darstellungsformen Darstellungsformen sein zu lassen. Intuitives Schreiben sozusagen. Keine Grenzen. Es ist schwierig, aber ich bemerke, dass ich diesen luftleeren Raum sukzessive intensiver mag.

Zwölf Jahre bieten viele erwähnenswerte Gelegenheiten, Umstände, Songs, Lappen und tatsächlich unglaubliche Geschichten. Nostalgie hat schöne Seiten, hat aber gleichermaßen eine hässliche Fratze, die sich in der Gefahr äußert, eine Sekunde zu lang in der Vergangenheit zu verharren. Der Blick zurück ist schön, er bedingt aber oft auch Stillstand und findet seinen Antrieb nicht selten in gegenwärtigen Problemen, vor denen es ohnehin kein Entrinnen gibt.

„IV: Revolution“ ist wieder kein Stillstand, eher das Gegenteil: Ein lebendiger Fluss. „IV: Revolution“ ist Freude. Glück. Ja, Liebe, tiefe Liebe. Diese Platte ist wieder kontrovers, sie ist eine Provokation, wie eine Provokation sein sollte. Sie hat wieder dieses unbezwingbare Trostpotenzial. Eine hymnische Ode auf dieses Leben mit all seinen Unwägbarkeiten, beschissenen „dog days of the summer“, Rückschlägen, aber auch Erfolgen, mit all seinen Knutschereien, gerne im übertragenen Sinne zu verstehen, seinen Möglichkeiten, seinen Sonnenzeiten, Urlauben, Feiertagen und kindlicher Freude. Dass auch diese Revolution mit den alten Kempen bestritten wird, ist ein Erfolgsgarant. Nie klangen diese Jungs wilder, frischer, homogener, direkter, oder auch rumpeliger. Wir hören und sehen ein eingespieltes Team jenseits von Katalonien, das zu außergewöhnlichen Leistungen imstande ist.

Gnade“ etwa ist ein Werk, das Tom Waits wohl gerne geschrieben hätte, vielleicht noch immer schreiben möchte. Fehlt womöglich die Erkenntnis. Dieses bemerkenswerte Stück Musik, durchaus aufwändig arrangiert und produziert, ist mein Höhepunkt dieses Lebenszeichens. Es festigt nicht nur meinen Glauben, meine Hoffnung, meine Liebe. Es zeigt mir, dass dieser Jens Böttcher eine immens schwierige Aufgabe meistert: Niemals die Wurzeln vergessen, verraten gar, und dennoch weitersegeln. Es gibt noch so viele Menschen, die auf seine Musik warten und viele wissen es nicht einmal. Gott mit Dir, mein Freund.

Steffen Richter

Mittwoch, 2. Oktober 2013

ÜBER IV: REVOLUTION #3



Liebe Schwestern, Brüder, Mütter, Väter, Cousins ersten bis tausendsten Grades, Schwippschwagers, Bürgerinnen und Bürger, Freundinnen und Freunde. Voller Freude und mit etwas aufrichtiger Rührung räume ich an dieser Stelle mal kurz einer Reihe von wunderbaren Gastbloggern etwas Platz ein. Unsere überaus talentierten Freunde Lorenz Ritter (Werbetexter), Sarah Brendel (Musikerin), Steffen Richter (Journalist), Rainer Buck (Autor), Daniel Monninger (Historiker und Texter) , Jakob Friedrichs (Autor und Comedian) und Jörn Schlüter (Musiker, Produzent, Schreiber für u.a. den Rolling Stone) berichten in vom ihrem ersten Höreindruck betr. unseres neuen Albums „IV:Revolution“, das ab sofort überall erhältlich ist. 


Heute schreibt: Jakob Friedrichs - Autor, Künstler, Paar- und Konfliktberater, Theologe und Prediger. Er arbeitet als "Referent für Popularmusik und neue Spiritualität" bei der EKHN und verschönert die Bühnen dieser Welt mit dem hessischen Musik-Kirchenkabarett superzwei (früher nimmzwei). Neben seinen vielfältigen geistlichen und künstlerischen Aktivitäten schaut er am liebsten Filme oder philosophiert über ein zeitgemäßes Christentum. (Kontakt: jakob@superzwei.de)

IV:Revolution - Stationen einer Freundschaft (Eine Liebeserklärung)

Er hat es wieder getan...!
Es gibt Menschen, die begleiten einen. Selbst wenn man sie nicht oft sieht.
Ich kenne Jens Böttcher seit nunmehr 8 Jahren. Genau genommen, seit dem 2. Juli 2005. Ich weiß das Datum noch so genau, weil an diesem Tag das Weltumspannende Rockfestival Live 8 unter dem tollen Motto "Make Poverty History" gleichzeitig in 10 großen Städten auf der ganzen Welt stattfand. In Deutschland an der Siegessäule in Berlin mit 200.000 Zuschauern. Und wir waren mit superzwei auf dem Weg - nein, nicht dahin, schön wär's gewesen ;-) - sondern nach Hamburg, um dort in einer Pfingstgemeinde aufzutreten. Es sollte übrigens eines der desaströsesten Konzerte in der ganzen nimmzwei/ superzwei Geschichte werden, aber das wussten wir noch nicht, als wir auf der Autobahn gebannt Bono im Radio lauschten, wie er in London mit dem Beatlesklassiker "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" Live 8 eröffnete.
Wie gerne wäre ich selber in London oder Berlin dabei gewesen. Und wenn schon nicht on-stage (als unbedeutender christlicher Comedian kann man auch nicht alles vom Leben verlangen, was?), dann doch wenigstens davor. Live dabei. Radio ist eine lausige Alternative (vielleicht wie diese 70er Jahre Sexfilmchen von Oswalt Kolle im Vergleich "to the real thing" - aber egal, ich schweife ab. Denn im Nachhinein bin ich froh, weder in London noch in Berlin vor oder auf der Bühne gestanden zu haben. Sogar unser eigenes Konzertdesaster dieses Abends nehme ich dankbar in Kauf (und es war ein Desaster ohne Gleichen: Die, äh, richtige Band am falschen Ort, nehme ich an; gefühlte Horden von 60 - 120-jährigen, die 15 Minuten nach Beginn unseres Konzertes begannen kopfschüttelnd den Saal zu verlassen, vielleicht weil sie Lobpreis oder Manfred Siebald oder wenigstens den Anton aus Tirol erwartet hatten, aber ganz sicher die Begriffe "christlich" und "Satire" in einem Atemzug für eine blasphemische Kontradiktion hielten - wie auch immer, wir spielten jedenfalls den Saal nahezu leer... Wenn ich Desaster schreibe, meine ich Desaster!). Während überall auf der Welt Millionen von Menschen miteinander für die Abschaffung der Armut rockten, verwaisten wir auf einer pfingstlichen Bühne... Aber ich bin froh an diesem Ort gewesen zu sein und nicht an einem der jenen. Warum? Weil ich sonst diesen seltsamen Herren mit Gangsterhut und Springerstiefeln nicht kennengelernt hätte, der da in unsere Gebetszeit vor dem "Auftritt" platzte, auf mich zuschlappte und "ich bin übrigens der Jens" nuschelte.

Das war jetzt wahrscheinlich die längste Hinführung zu einer Freundschaft, die je geschrieben wurde, was? Wobei, wer regelmäßig die famosen Newsletter des Herrn Jens Böttcher liest, weiß, dass ich mich in guter Gesellschaft befinde ;-) Dort begab es sich also. Am 2.7.2005. Im Hamburger Vorzimmer des Desasterkonzertes schlechthin. Mir war jedenfalls sofort klar, dass hier ein Typ stand, den ich auf keinen Fall wieder verlieren wollte. Und das obwohl mir seine CDs der rosenbrock+böttcher-Ära, die ich immerhin schon mal gehört hatte, gar nicht so recht zusagten (das war mir alles zu over-the-top-christlich und "kanaanäisch"... Sorry, Jens, ich hoffe, du nimmst mir das jetzt nicht übel ;-)).
Aber so geschah es. Wir blieben in Kontakt. Manchmal gemailt, ab und an telefoniert und uns seitdem vielleicht 6 oder 7 mal getroffen. Das ist nicht oft. Einmal davon hat der gute Jens superzwei als Laudator auf der Promikon einen Preis überreicht. Und ein weiteres Mal haben wir gemeinsam unter seiner Regie das Video zu seiner famosen Coverversion unseres "Ich laufe, ich falle" gedreht.   Aber das waren eher "Buisnessmeetings" (wobei ich beim letzten endlich mal Jens tolle Kollaborateure seines Orchesters des Himmlischen Friedens näher kennen lernen durfte, was richtig klasse war). Vor allen Dingen denke ich natürlich an die Handvoll Begegnungen in denen wir bei Kaffee und Wein tatsächlich ein paar Stunden Zeit füreinander hatten. Es waren jedesmal wundergute Treffen, einer geheimnisvollen Seelenverwandtschaft, in denen wir über unsere Musik sprachen, über Kunst, Phillosophie, Theologie und die Ups & Downs unseres Lebens. Über unsere gemeinsame Liebe zu Jesus und zu Johnny Cash und die gemeinsame Irritation über den immer wieder aufpoppenden und nicht tot zu kriegenden christlichen Fundamentalismus. Und auch wenn es nicht viele Treffen dieser Art waren, so überbrückten sie mühelos die Zeit und die KM, die zwischen Hamburg und Frankfurt liegen. Wie gesagt, wundergute Begegnungen der tiefen, einzigartigen Art. Freundschaft eben. Bruderschaft.

Natürlich habe ich sein weiteres künstlerisches Schaffen seit dieser ersten Begegnung im Desastervorzimmer aufmerksam (und vor allem aufmerksamer) verfolgt. Wenn man einen Menschen kennt, hört man ihm ja ganz anders zu. Und wie viel Wonne ist es, einem Jens Böttcher dabei zuzuhören, wie er reift. Als Künstler und als Mensch. So wenig ich mit seinem Schaffen der oben genannten Epoche anfangen konnte, umso mehr überzeugen mich seine Solopfade. Und jedes Album legte hier einen drauf. Was uns endlich zurück zu meinem ersten Satz führt: Jens hat es wieder getan!

Keine Angst, ich mache es jetzt kurz. IV: Revolution ist für mich sein bisher dichtestes Album. Sehr echt, sehr verletzlich. Durchwoben von Tiefsinn und Poesie. Rauem Rock'n Roll und schmachtender Sehnsucht. Abgehtitel tanzen mit folkigem Singer-Songwriting. Und dann ist da natürlich der wundervoll satirisch erste Lagerfeuer-Countrysong "Ich traf Jesus in meinem Stammcafe", bei dem ich am Ende mit Lalalalen durfte (das "Huuh!" ganz am Schluss, das war ich - wenn ich mich recht erinnere :-)). Doch am meisten kann ich von jeher mit der bittersüßen, melancholischen Seite des Böttcher'schen Seelenlebens anfangen. Und Songs wie "der laute Teil der Stille", "4 qm Jazz" (omg - was für ein Titel!) oder "ich denke nicht an dich" fügen seiner bekannten Gabe Schmerzen und Schmerzhaftem etwas Lyrisches, Gnädiges abzugewinnen neue Dimensionen hinzu. Die Antwort ist das Leben. Die Liebe. Gnade. Jenes bangend in eben jene Liebe Gottes tauchen, was Jens immerwiederkehrend in schillernden Farben, Stimmungen und Perspektiven, mal schön und mal verstörend schön besingt, betrauert und umarmt - diese bangende Liebe, von der er weiß und uns erzählt, irritierend schön, rauhbeinig sanft, zerbrochengeflicktauferstandene Liebe. Davon atmet das Album. Das ist seine Revolution. Und auch meine.

Jakob Friedrichs von superzwei