Montag, 7. Oktober 2013

ÜBER IV: REVOLUTION #4



Foto: Paintpictures Bilderwelten

Heute als Gastblogger zum neuen Album "IV: Revolution" - unser alter Bruder und geliebter Weggefährte Steffen Richter - der vor gut zehn Jahren als A&R eines christlichen Labels maßgeblichen Anteil daran hatte, dass unsere Musik landesweit auf recht schnittige Weise polarisieren durfte. :-) Besonders schön an seinem besonders schönen Text ist übrigens, dass er nicht darauf verzichtet hat, die Lappen zu erwähnen, die einen gewissen Herrn Rosenbrock und mich auch heute noch zum entrückten Lachen bringen.  Und nee, das muss man jetzt nicht verstehen. :-) Danke, Bro. 

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Steffen Richter ist alterstechnisch kurz vor der Umschiffung des Kaps der guten Hoffnung, erhofft für seine beiden wilden Jungs einen Platz im offensiven Mittelfeld der TSG Wieseck, lebt als überzeugter Bürger in einer temperamentvollen Universitätsstadt Hessens, empfindet große Leidenschaft für seinen Beruf, auch wenn Journalistenmenschen nicht den besten Leumund haben, verdient die leckeren Semmeln für die Familie als Kommunikator einer internationalen NGO und wenn Jens Böttcher gerade mal nicht die Gehörgänge umschmeichelt, verehrt Steffen musikanten des Americana, in diesen Tagen besonders gerne David Ramirez, Holly Williams, Jay Nash, the Civil Wars, Steve Earle oder Amos Lee.     


Ein lebendiger Fluss. 

Musik ist ein bisschen wie Fußball. Sie polarisiert. Mitunter sogar stark. Jens Böttcher kann ein Lied davon singen. Tut er aber nicht. Seine Lieder thematisieren nicht Schubladen, und auch nicht deren Inhalt. Jens singt im engeren und weiteren Sinne Liebeslieder. Seine Mission ist Liebe. Man könnte dieser banalen Erkenntnis, oberflächlich betrachtet, einen gewissen Schmuddelcharakter beimessen und in die lebensbejahende Bahnhofsgegend verschieben. Das, liebe Freunde, käme allerdings der Wahrheit nicht sehr nahe und spräche für eine komplette Unkenntnis des musikalischen Schaffens unseres Genius. Mal mit Rosenbrock, mal mit einem Orchester des himmlischen Friedens, mal solo, mal mit Hut, selten ohne, ja, es gibt ihn in vielen Variationen. Egal aber wie er gerade die Öffentlichkeit kreuzt, sein großes, brennendes Herz, seine tiefe Liebe zu den Menschen flankiert alles. Liebe zu den Menschen zu haben, das zeichnet das Gesamtkunstwerk Jens Böttcher aus.

Man könnte glatt meinen, ich umschmeichle einen alten Freund mit einer gewissen Absicht, verpacke das in möglichst freundliche Worte und stütze auf diese Weise seinen neuesten Arbeitsnachweis aus einer vermeintlich neutralen Perspektive. Ähhhh, dem ist so. Keine Frage. Dem ist so, aber jeglicher kritischer Aufschrei ungezügelter Empörung gepimpter Wutbürger verstumme augenblicklich, denn diesem meinem kleinen Kommentar geht eine erneut außergewöhnliche Leistung voraus. Mir bleibt keine Wahl. Ich liebe diesen Kerl und seine Musik. Fürchte, das wird sich nicht ändern. Er singt von meinem Leben. Er berührt mich. Er tröstet mich im richtigen Moment. Schenkt mir Hoffnung. Er lacht mit mir, imaginär und von Angesicht zu Angesicht, manchmal auch im Telefon. Er gibt mir die Chance, mit seiner Musik auch anderen Menschen zur Seite stehen zu können. Das ist passiert. Mehrfach.
Klar. Jens Böttcher bleibt ein Geschichtenerzähler, ein Überzeugungstäter, auch ein Spaßmusiker und auf eine gewisse Art und Weise auch ein chronischer Antizeitgeistler, aber er hatte dennoch schon immer ein Faible für die richtigen Impulse und eine ausgesprochen authentische Empathie für die Vergessenen, die verlorenen Seelen, die Schmerzensmenschen. Er ist auf eine Art und Weise gesegnet, talentiert, beschenkt, dass aus dem knorrigen, zunächst für viele eher sperrigen Barden ein Hoffnungsträger wird. Innerhalb von Minuten. Wie war das noch? „We learned more from a three-minute-record than we ever learned in school.”

Es ist mir eine große Ehre, dass ich diese Zeilen schreiben darf. Auch, weil ich einen ausgeprägten Hang zur Rampensau habe und gerne einen immens wichtigen Teil zum Umfeld der neuen Platte beitragen will. Es ist mir eine große Ehre trotz der absoluten Freiheit, inhaltliche Vorgaben zu vergessen und Darstellungsformen Darstellungsformen sein zu lassen. Intuitives Schreiben sozusagen. Keine Grenzen. Es ist schwierig, aber ich bemerke, dass ich diesen luftleeren Raum sukzessive intensiver mag.

Zwölf Jahre bieten viele erwähnenswerte Gelegenheiten, Umstände, Songs, Lappen und tatsächlich unglaubliche Geschichten. Nostalgie hat schöne Seiten, hat aber gleichermaßen eine hässliche Fratze, die sich in der Gefahr äußert, eine Sekunde zu lang in der Vergangenheit zu verharren. Der Blick zurück ist schön, er bedingt aber oft auch Stillstand und findet seinen Antrieb nicht selten in gegenwärtigen Problemen, vor denen es ohnehin kein Entrinnen gibt.

„IV: Revolution“ ist wieder kein Stillstand, eher das Gegenteil: Ein lebendiger Fluss. „IV: Revolution“ ist Freude. Glück. Ja, Liebe, tiefe Liebe. Diese Platte ist wieder kontrovers, sie ist eine Provokation, wie eine Provokation sein sollte. Sie hat wieder dieses unbezwingbare Trostpotenzial. Eine hymnische Ode auf dieses Leben mit all seinen Unwägbarkeiten, beschissenen „dog days of the summer“, Rückschlägen, aber auch Erfolgen, mit all seinen Knutschereien, gerne im übertragenen Sinne zu verstehen, seinen Möglichkeiten, seinen Sonnenzeiten, Urlauben, Feiertagen und kindlicher Freude. Dass auch diese Revolution mit den alten Kempen bestritten wird, ist ein Erfolgsgarant. Nie klangen diese Jungs wilder, frischer, homogener, direkter, oder auch rumpeliger. Wir hören und sehen ein eingespieltes Team jenseits von Katalonien, das zu außergewöhnlichen Leistungen imstande ist.

Gnade“ etwa ist ein Werk, das Tom Waits wohl gerne geschrieben hätte, vielleicht noch immer schreiben möchte. Fehlt womöglich die Erkenntnis. Dieses bemerkenswerte Stück Musik, durchaus aufwändig arrangiert und produziert, ist mein Höhepunkt dieses Lebenszeichens. Es festigt nicht nur meinen Glauben, meine Hoffnung, meine Liebe. Es zeigt mir, dass dieser Jens Böttcher eine immens schwierige Aufgabe meistert: Niemals die Wurzeln vergessen, verraten gar, und dennoch weitersegeln. Es gibt noch so viele Menschen, die auf seine Musik warten und viele wissen es nicht einmal. Gott mit Dir, mein Freund.

Steffen Richter

1 Kommentar:

  1. Hallo Jens!
    Das war wirklich ein besonderes Konzert gestern Abend in Brockel! Ein großes Kompliment an Dich und Deine Jungs. Wir kannten Euch bisher noch nicht. Es hat gut zusammengepaßt, Eure Musik und Dein Gesang und was Du gesagt hast. Auch der dezente und zugleich virtuose Einsatz der Instrumente war toll. Uns hat auch die christliche Grundhaltung gefallen und daß ihr das aber auch nicht zu dick aufgetragen habt, wie man das manchmal bei christlichen Bands findet. Leider hatten wir nach dem Konzert keine Zeit mehr zum Pizzaessen. Danke nochmal für den Abend!
    Gruß, Silke und Albrecht

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